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Kann die Architektur das neue Arbeiten fördern?

Zukunftslabor, Innovation Hub, Denkfabrik, Creative Space, Ideenmanufaktur. So oder so ähnlich heißen die Büros der Moderne. Die Arbeitswelt wird digitaler, agiler, flexibler und vernetzter. Wie muss eine Architektur beschaffen sein, um den veränderten Arbeitsmethoden zu begegnen und sie zu fördern? Text: Désirée Balthasar
Veröffentlicht am 15.07.2019

„Idealerweise ändern sich Arbeitskultur und räumliches Umfeld gleichzeitig“, sagt New-Work-Expertin und Architektin Margit Sichrovsky. Die Frage, was zuerst kommt, das neue Arbeiten – „New Work“ – oder die entsprechende Architektur, wird in der Praxis allerdings häufig anders beantwortet. „Leider fehlt vielerorts das Bewusstsein dafür, dass neues Denken auch neue Räume braucht“, sagt die Mitgründerin von LXSY Architekten in Berlin. „Die neuen Arbeitsmethoden basieren auf Kommunikation, auf Austausch und Miteinander. Wenn die Büroumgebung das aber nicht zulässt, ist jeder Versuch in diese Richtung umsonst.“

Aus ihrer Erfahrung weiß Sichrovsky jedoch, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter die neuen Arbeitsmethoden zwar trainieren lassen – beispielsweise Scrum oder Design Thinking –, sie dann aber in das alte Arbeitsumfeld zurückschicken. Das klappt nicht, denn weder Einzelkabine noch Großraumareal eignen sich für die agilen Arbeitsprozesse. „Kreativität und Kommunikation entstehen nicht einfach so“, ist Architektin Sichrovsky überzeugt. „Es braucht eine ansprechende Umgebung, in der man sich gern aufhält. Das zufällige Aufeinandertreffen ist ein Kernthema des Neuen Arbeitens. Unsere Aufgabe ist es, die Möglichkeiten dafür zu schaffen.“ 

Gemeinsam mit ihrer Geschäftspartnerin Kim Le Roux möchte Sichrovsky genau diese Orte des informellen Austauschs schaffen, in denen Ideen spontan entstehen und Entscheidungen unkompliziert getroffen werden, im New-Work-Jargon „Serendipity“ genannt. Ihre Methodik orientiert sich nah an den Bedürfnissen der Nutzer: „Bei jedem Projekt stellen wir den Menschen in den Mittelpunkt. Dabei geht es im Kern um die Frage, was jeder für sich und auch als Team in dem eigenen Umfeld braucht.“ Die Geschäftsführung, die Büros gemäß den Wünschen der Angestellten umbauen lässt, zeigt deutlich, wie sehr sie diese wertschätzt. Ein unschlagbarer Vorteil im harten Kampf um Fachkräfte.

Vier Komponenten für New-Work-Konzepte

Es gibt keine Blaupausen für New-Work-Architektur, sehr wohl aber eine bestimmte Haltung, die die architektonische Konzeption bestimmt. Nicht die Ästhetik steht im Vordergrund, sondern die Nutzerfreundlichkeit. Vier Hauptkomponenten zeichnen das neue Arbeiten aus, Sichrovsky spricht von den vier „Cs“: „collaborate, communicate, concentrate, contemplate“. Eine derartige Büroumgebung sieht offene Bereiche für Austausch und Teamarbeit vor, gemütliche Orte zum Nachdenken und An-die-Wand-starren-um-Probleme-zu-lösen oder Rückzugsflächen für Konzentrationsarbeit und Telefonate. 

Ein klassisches New-Work-Projekt von Sichrovskys Büro LXSY ist der Co-Working-Space „Full Node“ in Berlin Kreuzberg. Die Charakteristiken: keine sichtbaren Hierarchien, leichte Vernetzung, vielfältige Zwischenräume für unterschiedliche Arbeitsweisen. Auf rund 1.000 Quadratmetern wechseln sich geschlossene Büroräume mit offenen Co-Working-Bereichen ab und bieten Orte für Dynamik und Konzentration, für Ruhe und Kommunikation.

Das New-Work-Projekt von Sichrovskys Büro LXSY: der Co-Working-Space „Full Node“ in Berlin Kreuzberg

Ein anderes Beispiel ist der Co-Working-Space „London Fields“ von Second Home, geschaffen von Cano Lasso Architects. Der Bürokomplex zeigt sich innen überdurchschnittlich begrünt und verfügt über einen Kindergarten; es gibt gemütliche Sofaecken und funktionelle Schreibtischreihen. Auch hier zeigt sich: die Bedürfnisse der Nutzer stehen im Mittelpunkt. In diesem Fall werden junge Eltern angesprochen, die Arbeit und Leben flexibel und design-orientiert vereinen möchten.

Die Architektur entspricht den neuen Arbeitsmethoden folglich dann, wenn sie sich selbst zurücknimmt und die Nutzer in den Mittelpunkt rückt. Angelehnt an die Bedürfnisse und Aufgabeninhalte, gestalten sich Büroumgebungen anpassungsfähig und flexibel. Sie bieten informelle Kommunikation und konzentriertes Arbeiten. Die Geschäftsführung besetzt nicht mehr das größte Einzelbüro im Haus, sondern gliedert sich unauffällig in die Mitarbeiterschaft ein.

Der Arbeitsplatz ist kein Spielplatz

Manche Unternehmen gehen einen Schritt weiter und setzen auf Gimmicks wie Bällebäder, Rutschen oder Schlafnischen, um spielerische Leichtigkeit zu demonstrieren. „Das ist eine Erlebniswelt für Erwachsene, zum Arbeiten ungeeignet“, sagt dazu der Geschäftsführer von „Dark Horse Workspaces“ Erkan Karakoç. Der Wirtschaftsingenieur hält nichts von Verspieltheit am falschen Ort, hier werde New Work missverstanden: „Der Kicker ist dann wichtig und richtig, wenn die Leute ihn wirklich nutzen. Wenn ihn aber das Architekturbüro hinstellt, damit die Atmosphäre hip wirkt, dann funktioniert es nicht.“ Derartige Orte dienen hauptsächlich dem Image, weshalb etwa das Recruitment oder die Marketing-Abteilung gern Fotos davon in den Internet-Netzwerken streuen. Das echte Arbeiten findet woanders statt.

Ebenso wie bei LXSY Architekten liegt auch bei Karakoçs Agentur der Fokus auf den Nutzerbedürfnissen. Seine Agentur konzipiert Arbeitsumgebungen für „Design Thinker“, auch Architekten und Innenarchitekten gehören zum Team. Die grundlegende Methode für Architekturentwürfe von New-Work-Umgebungen heißt Partizipation: „Wir stellen die Nutzer in den Mittelpunkt. Wir erforschen deren Bedürfnisse, erstellen ein Umgebungsprofil und beobachten Kommunikationsintensität und Arbeitsprozesse“, sagt Karakoç. 

Der Blick auf die Nutzer geht bei der Agentur soweit, dass diese sogar ein Tagebuch führen sollen. In diesem halten sie in einer Arbeitswoche fest, wie sie wo, mit wem und woran arbeiten. Auf dieser Grundlage werden die Orte erschaffen, die das jeweilige Unternehmen, die jeweilige Abteilung und jede Einzelne benötigt.

Die Art und Weise, wie im jeweiligen Unternehmen gearbeitet wird, für sich und mit anderen, spielt demnach die wesentliche Rolle bei der Bürokonzeption. Offene Flächen mit Cafeteria und Sofas passen dabei nicht für jeden. Marketing- oder Entwicklungsteams nutzen New-Work-Arbeitsumgebungen sicherlich gerne, wohingegen etwa Rechtsabteilungen oder Verwaltungen klassische Büros bevorzugen.

„Die innovativsten Ideen entstehen in zufälligen Begegnungen. Für diesen Informationsaustausch schaffen wir die sozialen Räume“, sagt Karakoç. Auch er nennt keine festen Kriterien, wodurch New-Work-Architektur definiert würde. „Es geht eher um den Ansatz der Partizipation und um das richtige Mindset. Nur wenn ich die Nutzer und ihre Bedürfnisse ernst nehme, dann entspricht auch die Bürokonzeption den Anforderungen des modernen Arbeitens.“

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