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Crowdfunding für die Stadtentwicklung

In der Musik- und Filmbranche, Gamingszene oder Blockchainkreisen ist Crowdfunding längst angekommen. Die amerikanische Band Public Enemies finanzierte so 2010 ein Album, der Kinofilm Stromberg konnte dank Crowdfunding realisiert werden oder die Kryptowährung EOS. Denn vom Prinzip her, lässt sich alles über Crowdfunding finanzieren. Auch Architektur- oder Stadtplanungsprojekte. Die Beispiele aus dem Planungsbereich sind allerdings noch überschaubar. Dabei tut sich viel in dieser Richtung – zum Beispiel in London. Vanessa Kanz wirft für New Monday einen Blick auf die Möglichkeiten, die Crowdfunding Planungsbüros und interessierten Bürgern bietet.
Veröffentlicht am 04.02.2020

In den vergangenen Jahren zeichnete sich ein Wandel ab, den Wissenschaftler als „Urbanismus von unten“ bezeichnen. Darunter fallen zum Beispiel das Guerilla Knitting – bei dem Laternen und Poller mit bunter Wolle verkleidet werden –, genauso wie bürgerschaftliche Projekte wie Urban Gardening, die das städtische Leben sozialer, vielfältiger und nachhaltiger gestalten. Es gibt Menschen, die mitreden und –gestalten wollen. Menschen, die möglicherweise unzufrieden sind mit politischen Entscheidungen, die die Stadtentwicklung betreffen. Trotzdem bleiben viele Ideen nur Wunschdenken, weil ihre Initiatoren an bürokratischen sowie finanziellen Hürden scheitern. Aus diesem Grund etablierten sich Plattformen, die innovative Ideen sammeln, mit fachlicher Expertise vernetzen und darüber hinaus die Projekte durch Crowdfunding finanzieren. Finanzierungs- und Dialogmechanismen werden also verknüpft, um kollektiv über Projekte zu diskutieren, die das Wohl der Stadtgesellschaft betreffen. Kommunen sowie Architekten, Stadtplaner und Bürger haben das Potenzial von urbanem Crowdfunding erkannt.

Crowdfunding im 19. Jahrhundert

Auch wenn die digitalen Plattformen für Crowdfunding noch relativ jung sind – die Idee dahinter ist nicht neu. Ein historisches Beispiel: der Sockel der amerikanischen Freiheitsstatue. Seine Errichtung verdankt er etwa 160.000 Einzelspenden – das war bereits im 19. Jahrhundert. Doch erhalten Crowdfunding-Kampagnen eine neue Dimension durch die Verbreitung im Internet. Plattformen wie kickstarter oder die deutsche Website startnext vernetzen bereits seit einigen Jahren erfolgreich Initiatoren und Investoren. Durch soziale Netzwerke können neue Zielgruppen (und Gelder) erschlossen werden.
Spacehive aus London
Für ein architektonisches Großprojekt, das sich über viele Jahre erstreckt, kann Crowdfunding als Initialzündung genutzt werden. Ob die breite (finanzielle) Teilhabe konstant über den gesamten Zeitraum bestehen bleibt, ist dabei eher fraglich, weil die Menschen nicht langfristig eingebunden sind. Es existieren allerdings Plattformen, die den Prozess sehr niedrigschwellig angehen, wie beispielsweise die Crowdfunding-Plattform Spacehive aus Großbritannien, die sich 2011 in London gegründet hat. Diese animiert Menschen dazu, Ideen für ihre Gemeinde online einzureichen, um den lokalen Ort zu (re-)vitalisieren. Projekte, die über Spacehive finanziert werden, müssen zwei Bedingungen erfüllen: Sie müssen erstens öffentlich zugänglich sein und zweitens für die Gemeinde einen Gewinn bedeuten. Die Bürger sollen am Planungsprozess, von dem sie sonst aufgrund von Regeln, Vorschriften und bürokratischen Bestimmungen ausgeschlossen sind, teilhaben. Der Gedanke dahinter: Diejenigen, die direkt vor Ort wohnen, verstehen die Herausforderungen und Chancen ihrer Region am besten. Deshalb bringt Spacehive Menschen, Unternehmen, Verwaltungen und Stiftungen zusammen. Die kooperierenden lokalen Behörden überprüfen vor dem Start der Kampagne die notwendigen Genehmigungen und Kostenvoranschläge des jeweiligen Projekts.

Die Peckham Coal Line

Die „Peckham Coal Line“ ist ein Beispiel für ein durch Spacehive finanziertes Projekt: Es handelt sich um einen erhöhten Stadtpark in Peckham, South London, der auf stillgelegten Kohlegleisen gebaut wird. Nick Woodford ist Anwohner und einer der Ideengründer, der das Potenzial des stillgelegten Areals erkannte, das als natürliche und zugleich soziale Verbindung zwischen zwei Hauptstraßen und Stadtvierteln fungieren soll. Zusammen mit weiteren Anwohnern bildete Woodford ein Kollektiv und reichte die Idee bei Spacehive ein. 2015 starteten sie eine Kampagne zur Finanzierung einer Machbarkeitsstudie, um zu bestimmen, wofür die „Coal Line“ dienen sollte, wer sie nutzen, wer sich um sie kümmern und wie viel sie kosten würde. 928 Anwohner, Unternehmen, Stadträte, der örtliche Abgeordnete und der Bürgermeister von London waren von der Idee überzeugt und sammelten insgesamt 75.757 Pfund zur Finanzierung der Studie. Nach einem Auswahlverfahren gewann ein Team unter der Leitung des Architekturbüros Adams & Sutherland den Auftrag.
In einem Interview antwortete Nick Woodford auf die Frage, warum sie sich für Crowdfunding entschieden haben: „Es geht um den Gemeinschaftsgedanken, darum, etwas kollektiv zu verwirklichen. Dann haben die Menschen ein Gefühl der Verbundenheit, weil sie Zeit, Herz und Geld investierten.“
Ebenso erfolgreich waren auf Spacehive bislang Projekte mit dem Ziel, bestehende, jedoch verfallende und leer stehende Gebäude zu erhalten. Diese besitzen einen symbolischen Wert für die jeweiligen Gemeinden. Kampagnen verlaufen hierbei im Vergleich besonders positiv, da der drohende Verlust alter Schulen oder Theater die Bevölkerung überzeugt, das jeweilige Projekt finanziell zu unterstützen.

Auch in Berlin tut sich etwas

Es gibt auch Projekte, die nichts mit einem öffentlichen Bauvorhaben zu tun haben, die hinterher nicht physisch erfahrbar und trotzdem finanzierungswürdig und crowdfunding-geeignet sind. Die Berliner Universität der Künste hat zum Beispiel im Jahr 2016 ein experimentelles Seminar organisiert, in dem Kinder Alltagsarchitektur, Gewöhnliches oder „Unwürdiges“ erforscht und neu betrachtet haben. Auf startnext sammelten die Initiatorinnen Geld für das Projekt, um ein Buch aus den Erfahrungen des Seminars zu produzieren, das Kindern spielerisch Zugang zur Baukultur ermöglicht.
Im Prinzip lässt sich also jede Idee und jedes Produkt durch Crowdfunding finanzieren – sofern es die notwendige Aufmerksamkeit erfährt. Somit entscheidet nicht nur die innovative Idee darüber, ob die Finanzierung glückt, sondern (mehr noch) das dahinterstehende Marketingkonzept. Die Menschen, die für das Projekt investieren sollen, müssen in einem ersten Schritt angesprochen werden – es muss eine (emotionale) Verbindung zwischen Geldgebern und Projekt entstehen. Damit geht ein negativer Aspekt des Crowdfunding einher: Nicht jeder hat unbedingt die Möglichkeiten einer solchen Öffentlichkeitsarbeit – sei es aus ökonomischen, zeitlichen oder anderen Gründen. Folglich sind es nicht unbedingt immer die „dringlichsten“ Projekte, die finanziert werden, sonder jene, die besonders sensationell und für den Moment impulsgebend erscheinen.

Marketing alleine genügt nicht

Grundsätzlich darf die Qualität des Marketings nicht darüber entscheiden, ob Projekte realisiert werden oder nicht – die Akteure müssen den Mehrwert und den Einbezug der Bevölkerung stets mitdenken. Beim Crowdfunding ist die „Crowd“ ein Ausschnitt, aber nicht die heterogene Gesamtheit einer Stadt. Gleichwohl dominieren die positiven Effekte, die Transparenz und die Kontrolle im Umgang mit den erhaltenen Geldern, die für ein urbanes Crowdfunding sprechen. Die Bürger können den Prozess verfolgen, partizipieren und sich mitverantwortlich fühlen, was wiederum Identität stiftet. Für Architekten und Planer ist Crowdfunding eine Option, eigene Projekte anzuschieben und zu realisieren – und nicht den Anruf des nächsten Auftraggebers abzuwarten. Es muss in erster Linie nicht um die Geldfrage gehen, sondern darum, Partner zu finden, die sich ebenfalls für die Idee begeistern und etwas – sei es ideell oder materiell – dazu beitragen.

 

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