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„Es passiert etwas, aber immer noch zu wenig.“

2019 plädierte ein Architekten-Kollektiv aus Großbritannien online für einen Paradigmenwechsel in der Baubranche und nannte seine Initiative „Architects Declare“. Auf ihrer Website rufen die ArchitektInnen dazu auf, keine Ressourcen mehr zu verschwenden, ökologisch verantwortbare Materialen zu gebrauchen und bestehende Gebäude zu verbessern, statt sie abzureißen oder mit Neubauten zu ersetzen. Mehrere Länder – darunter Dänemark, Norwegen, Australien, die Schweiz und Deutschland – taten es britischen Kollegen gleich und organisierten einen Web-Auftritt, der andere Büros dazu motivieren sollte, sich mit einer Unterschrift für klimaneutrale und biodiverse Infrastruktur und Stadtgestaltung einzusetzen. In Deutschland war HENN eines der ersten Büros, das die Forderungen unterzeichnete. Carolin Werthmann sprach mit Giovanni Betti, Head of Performing Based Design bei HENN, über das Versprechen, das hinter einer Unterschrift für den Klimaschutz liegt.  
Veröffentlicht am 27.01.2020

Fridays for Future, Architects for Future, Architects Declare: Herr Betti, woher, glauben Sie, kommt dieses seit gut einem Jahr omnipräsente Engagement für den Klimaschutz innerhalb des Bausektors? 
Für eine Vielzahl von Architekten ist dieses Thema schon länger Priorität. Das Problem ist nur, dass die Baubranche in manchen Prozessen konservativ agieren kann. Risiken sollten idealerweise möglichst gering sein. Es gibt aber Unternehmen, die sich darum bemühen, nachhaltige Materialien bereitzustellen oder weniger Abfälle zu produzieren. Es passiert etwas, aber immer noch zu wenig. 

Und Architects Declare ist der Versuch, das zu ändern? 
Ja, und gleichzeitig liegt nachhaltiges Bauen nicht nur in den Händen der Architekten, sondern auch in der Verantwortung aller am Bau beteiligten Gewerke und der Industrie. Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist einerseits, Materialität neu zu denken, und andererseits, den Energieverbrauch der Gebäude zu reduzieren. Denn wenn wir von emissionsfreien Gebäuden sprechen, betrifft ein sehr hoher Anteil davon die Lebenszyklusenergie. 

Dann sollte es doch auch so etwas wie „Ingenieure Declare“ und „Bauherren Declare“ geben, oder nicht?  
Das gibt es bereits! Nur haben diese Initiativen bislang leider weniger Resonanz erfahren als Architects Declare. Ich kann nur hoffen, dass sich das ändert. In den Anfangsphasen eines Projektes haben wir Architekten oft große Pläne, die irgendwann auf der Strecke bleiben, weil nicht alle Partner mitziehen oder finanzielle oder materielle Abstriche gemacht werden müssen.

Was ist nun Ihre Rolle beim deutschen Ableger von Architects Declare? 
Ich war derjenige, der sich am meisten dafür eingesetzt hat, dass HENN Teil dieser Idee wird. Als Head of Performance Based Design bei HENN bin ich dafür zuständig, Entwürfe und Gebäude auf ihren Energieverbrauch zu prüfen und zu optimieren. Ich analysiere, wie viel Energie und Ressourcen nötig sind, um das Gebäude überhaupt zu bauen und wie viel der Lebenszyklus fordern wird. Die Initiative von Architects Declare in Großbritannien im vergangenen Jahr erregte öffentliche Aufmerksamkeit, und dieselbe Aufmerksamkeit wünschte ich mir für die deutsche Branche. 

Wozu bekennt sich ein Büro, das sich mit einer Unterschrift beteiligt? 
Mit unserer Unterschrift unter den Forderungen bekennen wir gegenüber unseren Partnern und Kunden unseren Wunsch und unser Ziel, zur klimafreundlichen Gestaltung der Umwelt und Städte beizutragen. 

Letztlich kontrolliert aber niemand, ob diejenigen Büros, die unterzeichnen, tatsächlich auch klimafreundlich arbeiten…
Das nicht, aber mit einer öffentlichen Unterschrift binden wir uns an das Statement. Es ist ein Versprechen – und gerade als renommiertes Architekturbüro und als Teil eines öffentlichen Diskurses über die Klimakrise sollte man besser davon absehen, nicht zu halten, was man verspricht. 

Welche Strategien verfolgt HENN, um die Forderungen von Architects Declare in die Praxis umzusetzen?
Das Wichtigste ist, Kunden bereits in den frühen Projektphasen ins Boot zu holen und Ziele zu setzen. Darauf basierend lässt sich dann eine ambitionierte Agenda beschließen.

Können Sie ein Projekt von HENN nennen, das Sie als gelungenes Beispiel für Nachhaltigkeit halten? 
Hinsichtlich seiner Nachhaltigkeit ist die Fabrik des Möbelherstellers Brunner in Rheinau ein gutes Beispiel. Hier wurde viel mit Holz gearbeitet, das Dachtragwerk ist sichtbar und aus Holzbauteilen.
Ein anderes wichtiges Projekt ist die Modernisierung des denkmalgeschützten HVB-Tower in München, hier konnten demontierte, nicht umnutzbare Fassadenelemente recycled und die Aluminium-Außenschalen der Brüstungspaneele gesäubert und wiederverwendet werden. Aktuell arbeiten wir an einem Projekt in Deutschland, das komplett CO2-frei entstehen und funktionieren soll. Viel mehr darf ich darüber zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht verraten. 

Welche Auswirkungen hat der Anspruch möglichst grüner Gebäude auf deren Ästhetik? 
Ästhetik und Nachhaltigkeit stehen in einer sehr komplexen Beziehung – das eine hat aber nicht immer einen Einfluss auf das andere. Natürlich wirkt sich die Entscheidung für Holz statt Beton auf die Erscheinung aus. Aber ich würde eher von einer neuen architektonischen Sprache sprechen, die wir entwickeln müssen. Und die birgt neue Chancen.

Warum ist Architects Declare in mehrere Länder unterteilt, warum nicht einen großen, globalen Verbund daraus machen? 
Der Einfluss ist größer, wenn verschiedene Länder in ihren verschiedenen Sprachen für dieselben Forderungen plädieren. Der Gedanke einer globalen Bewegung geht dadurch nicht verloren, im Gegenteil, er wird noch deutlicher, indem jedes Land sich damit solidarisiert. Zugleich richten sich die Forderungen natürlich direkt an die lokale Bauindustrie des jeweiligen Landes. Dort kommen schließlich die meisten Projekte zustande, sieht man mal von großen Architekturbüros ab, die auch international agieren. Auch wir sind ein internationales Büro, aber der Großteil unserer Projekte findet nach wie vor in Deutschland statt.

Sie haben lange für Foster + Partner in London gearbeitet, kennen sowohl die britische als auch die deutsche Bauindustrie. Welche Unterschiede haben Sie festgestellt? 
In Großbritannien herrscht eine etwas liberalere Einstellung, was vor allem mit flexibleren Regulationen und höheren Immobilienwerten zusammenhängt. Es gibt vorgeschriebene Standards, aber die können umgangen werden, solange die Leistung des Gebäudes dies rechtfertigt. In Deutschland sind die Bauauflagen strenger und die Budgets geringer – das bedeutet zwar oft, dass die Qualität der Gebäude höher sei kann, innovative und außergewöhnliche Projekte aber schwieriger umzusetzen sind. 

Zur Person

Giovanni Betti studierte in Rom, Paris und in den USA, arbeitete acht Jahre lang für Foster + Partner in London, lebt seit 2015 in Berlin und ist Senior Associate und Head of Performance Based Design bei HENN. 

ArchitektInnen, die sich auch der Nachhaltigkeit verpflichten wollen, können die Forderungen hier unterzeichnen.

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