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Wie schwer haben es junge ArchitektInnen?

Früher galt das eigene Büro als Inbegriff einer erfolgreichen Architektenlaufbahn. Aber gilt das noch? Isa Fahrenholz sprach mit Markus Müller, dem Präsidenten der Architektenkammer Baden-Württemberg über Selbstständigkeit und ihre Risiken, Digitalisierung und schwierige Nachfolgeregelungen.
Veröffentlicht am 02.03.2020

BAUMEISTER: Herr Müller, lassen Sie uns erst mal einen Blick in die Architekturbüros werfen. Es wird immer schwieriger, Mitarbeiter zu finden – was, meinen Sie, ist die größte Herausforderung für Architekturbüros? Markus Müller: Tatsächlich starten weniger junge Architekten in das Berufleben als Architekten ausscheiden. Gerade in Zeiten, in denen die Baukonjunktur gut läuft, gilt es daher, mehr junge Menschen für den Beruf des Architekten zu begeistern. Und den Nachwuchs, so zu qualifizieren, dass er den Herausforderungen gewachsen ist.

B: Welche Rolle spielt die Architektenkammer dabei, eine neue Generation für den Beruf zu begeistern?
MM: Die übergreifende Aufgabe besteht darin, deutlich zu machen, welche Faszination dieser Beruf ausübt – trotz all der Schwierigkeiten. Wir arbeiten eng mit den Hochschulen zusammen und haben den Übergang von Hochschulausbildung in das Berufsleben bewusst gestaltet. Und natürlich begleiten wir diejenigen, die sich dafür entscheiden, selbstständig zu werden. B: Wie sieht diese Nachwuchsförderung konkret aus? MM: Das eine ist die Möglichkeit, unmittelbar nach der Kammer als AiP-Mitglied der Kammer zu werden – das Modell feiert dieses Jahr 21 Jahre Bestehen: Das AiP-Programm ist aus dem Wunsch heraus entstanden, den Übergang zwischen Hochschule und Berufsleben nicht dem Zufall zu überlassen. Stattdessen muss die Kammer sehr früh an die Absolventen herantreten, damit sie sich im Zusammenspiel von anleitendem Büro und Kammerangeboten auch für diejenigen Praxisanforderungen qualifizieren, die an den Hochschulen gar nicht vermittelt werden können, und sich zugleich für künftige Tätigkeits-Schwerpunkte entscheiden können. Der andere wichtige Bestandteil der Nachwuchsförderung ist die Verpflichtung als Architekt ein definiertes Fortbildungsangebot wahrzunehmen.

B: Sie erwähnten gerade das Thema Selbstständigkeit. Wie stehen junge Architekten heute zu dem Thema?
MM: Ich habe das Gefühl, dass junge Leute heute sehr viel bewusster ihr Leben planen, als meine Generation das tat. Daher schätzt die heutige Generation die Risiken genauer ab, als wir das vielleicht taten.

B: Was schreckt junge Architekten denn am meisten davor ab, sich selbstständig zu machen?
MM: Einerseits die fehlende Garantie, dass jeden Monat Geld auf dem Konto eingeht. Und natürlich geht man als Selbstständiger naturgemäß Risiken ein, die nicht jeder Mensch tragen will. B: ...und das sind? MM: Zum Beispiel die betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen oder organisatorische Herausforderungen im professionellen Betrieb eines Architekturbüros. Auch die Haftungsrisiken sind gestiegen. Und natürlich bewegen wir uns in einer immer komplexeren Welt, was sich auch auf unseren Berufsstand auswirkt. In dem Sinne ist natürlich die Digitalisierung ein wichtiges Thema, das immer mehr zusätzliche Fähigkeiten erfordert.

B: Wo wir gerade beim Thema Digitalisierung sind – bedeutet diese Entwicklung, dass es für junge Architekten immer wichtiger wird, sich zu spezialisieren?
MM: Sagen wir lieber, dass die Einstiegshürden und der Spagat zwischen den unterschiedlichen Anforderungen größer wird. Das muss man eindeutig sehen. Die Diskussion, ob der Architekt Generalist oder Spezialist ist, dauert schon lange an. Am Ende ist es so, dass wir vor allem großen Wert auf unsere Fähigkeiten legen müssen, unterschiedliche Handlungsstränge zu analysieren, zu priorisieren, zusammen zu führen und daraus ein gestalterisch hochwertiges neues Ganzes zu schaffen.

B: Welche Folgen hat das für die Architekturszene?
MM: Tendenziell wird es weniger Bürogründungen in der heimischen Küche oder in der Werkstatt geben, sondern mehr professionelle Zusammenschlüsse. Auch die Nachfolge von bereits bestehenden Büros sind eine Herausforderung: Wir werden erfolgreiche Modelle für den Übergang zwischen Inhabern und potenziellen Büronachfolgern in die Breite tragen müssen. Es sind viele Lernprozesse, die wir im Augenblick durchlaufen.

B: Dabei wäre doch gerade jetzt, wo es der Baubranche gut geht, der ideale Zeitpunkt, um sich selbstständig zu machen, oder?
MM: Das stimmt. Aber andererseits gibt es Parameter, die es schwieriger machen sich selbstständig zu machen. Die klassischen Wege – wie Zufallsakquise, um sich erst mal über Wasser zu halten – sind nicht mehr so einfach. Auch gibt es weniger Wettbewerbserfolge, was der Reglementierung des Wettbewerbswesens geschuldet ist. Was Büroübernahmen betrifft, sind die Übergangszenarien viel komplexer geworden.  

B: Sie haben gerade angesprochen, dass das Wettbewerbswesen nicht mehr so zugänglich ist, wie vor einigen Jahren. Wie kommen junge Büros dann an ihre ersten Aufträge?
MM: Immer häufiger ist es so, dass Architekten ihre Kontakte aus den Büros, in denen sie gearbeitet haben, mitnehmen. Andere junge Büros schaffen es, sich so zu profilieren, dass sie für Wettbewerbe angefragt werden. Der letzte Weg ist tatsächlich die Akquisition im Umfeld.

B: Wie unterstützt die Architektenkammer junge Büros dabei, Bauherren zu finden?
MM: Wir haben mehrere Büroberatungsprogramme ins Leben gerufen. Die Programme spezialisieren sich zum Beispiel auf betriebswirtschaftliche und organisatorische Fragestellungen. Wir beschäftigen eigens eine Referentin, an die sich Büros wenden und sich von ihr beraten lassen können. Dort behandeln wir ganz praktische Themen wie zum Beispiel Stundensatzkalkulation oder auf welche Kenndaten man achten muss. Dieses Angebot wird durch Fortbildungen ergänzt, die Wissen zur professionellen Büroführung vermitteln. Wir haben aber auch Seminare zur Markenbildung. Dort vermitteln wir Strategien der Öffentlichkeitsarbeit oder der Markenpositionierung von Architekturbüros, also wie Architekten besondere Fähigkeiten und Merkmale herausarbeiten können, die sie von der Konkurrenz abheben. Und wir fördern natürlich den Austausch zwischen Kollegen, damit Büros einfacher zusammenarbeiten können.

B: Und wie wird das Angebot angenommen?
MM: Sehr gut. Viele unserer Mitglieder greifen darauf zurück – die Beratungsprogramme sind ausgebucht.

B: Was sehen Sie als größte Herausforderung der Architektenkammer?
MM: Als neue wesentliche Aufgabe von Kammern und Verbänden sehen wir es, eine aktive Rolle in gesellschaftlichen Diskursen einzunehmen, die nahe an den Themen der Architektur und Stadtplanung sind, aber zugleich über sie hinausgreifen. Wir sehen zahlreiche gesellschaftliche Herausforderungen, auf die wir als Architekten spezifische Antworten geben können.

B: An welche Herausforderungen denken Sie da?
MM: Wie können wir für breite Bevölkerungskreise bezahlbaren und sozial adäquaten Wohnraum schaffen? Wie können wir dauerhaft klimaverträgliche Gebäude planen? Was heißt Klimawandel für das Landschaftsbild? Welche Folgen hat das veränderte Einkaufsverhalten von Menschen für die Lebendigkeit von Innenstädten? Welche Chancen bietet die Veränderung von Mobilitätsformen für den öffentlichen Raum? Ich bin überzeugt, dass Architekten sehr viel zu diesen Diskussionen beitragen können.

B: Wie können sich Architekten in diese gesellschaftlichen Fragen einbringen?
MM: Architekten müssen das Wort ergreifen und Antworten formulieren, die die Komplexität von Entwicklungen verarbeiten. Wir müssen lernen, unsere Lösungsvorschläge in einer pluralistischen Gesellschaft mit vielen unterschiedlichen Playern und Interessenlagen zu vermitteln. Wir laden gerade die jungen Architekten herzlich dazu ein, mit uns diese Vorschläge zu formulieren.

Dieser Artikel stammt aus der Märzausgabe 2020 des Baumeisters. Das Architekturmagazin wird – ebenso wie New Monday – von GEORG Media herausgegeben. 

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