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Architektur und Nachhaltigkeit: "Wir beschreiben die wichtigsten Baumaterialien hinsichtlich ihrer Umwelt- und Gesundheitseigenschaften."

Ohne nachhaltig zu planen, kann man auch nicht nachhaltig bauen. Mit der Planung fängt alles an. Fragen danach, welche Materialien verwendet werden können, müssen oder dürfen, drängen sich schnell auf. Möchte man sich einen Überblick über möglichst emissionsarme Produkte verschaffen, hilft ein Besuch auf www.wecobis.de. Die Plattform sammelt umfangreiche Informationen zur Materialökologie. Carolin Werthmann sprach für New Monday mit Chefredakteurin und Architektin Petra Wurmer-Weiß über die Idee hinter dem Informationsportal und welche Nachhaltigkeitskriterien bei Gebäudezertifizierungen zum Tragen kommen.
Veröffentlicht am 16.12.2019

Frau Wurmer-Weiß, was verbirgt sich hinter WECOBIS?
WECOBIS ist ein herstellerneutrales, internetbasiertes ökologisches Baustoffinformationssystem, das seit über 20 Jahren existiert. Initiiert wurde es ursprünglich von einer Arbeitsgruppe der Bayerischen Architektenkammer. Bis 2010 wurden noch CDs erstellt, auf denen Lebenszyklusinformationen von Baumaterialien zu finden waren. Inzwischen gibt es diese und weitere Inhalte in der Webversion. Betrieben wird die Plattform gemeinsam vom Bundesbauministerium (BMI) und der Bayerischen Architektenkammer.

Wie ist WECOBIS aufgebaut, was findet man dort?
Wir beschreiben die wichtigsten Baumaterialien hinsichtlich ihrer Umwelt- und Gesundheitseigenschaften, von Klebstoffen über Mauerwerk bis hin zu Lacken und Farben. Wir erklären, wie sich der Baustoff hinsichtlich seiner Herstellung, Verarbeitung, Nutzung und Nachnutzung verhält und wie man möglichst umwelt- und gesundheitsfreundliche Produkte finden kann.

In welche Kriterien lassen sich nachhaltige Produkte, lässt sich nachhaltiges Bauen denn unterteilen?
Seit 2009 existiert ein Bewertungssystem für Nachhaltiges Bauen für Bundesgebäude des BMI (BNB) sowie das Gütesiegel Nachhaltiges Bauen. Darunter fallen Kriterien wie die ökologische und ökonomische, aber auch die soziokulturelle, funktionale und technische Qualität.

Und welche Unterpunkte wiederum enthalten diese Kriterien?
Da sprechen wir dann zum Beispiel von Ökobilanz, Schadstoffen in Baumaterialien, Lebenszykluskosten und Flächeneffizienz, aber auch von Behaglichkeit und Nutzerzufriedenheit, wie gut die Gebäude in die Infrastruktur eingebunden sind oder welche gestalterische und städtebauliche Qualität besteht. 

Es scheint unrealistisch, alle Kriterien erfüllen zu können, oder nicht?
Zu hundert Prozent ist das nicht möglich, nein. BNB beispielsweise besteht aus 39 Kriteriensteckbriefen, die mit Punkten versehen werden. Am Ende münden diese Punkte in eine Prozentzahl, die festhält, wie hoch die Qualität des Gebäudes letztlich zu sein verspricht. Ein Goldzertifikat erhält man bereits ab einem Erfüllungsgrad von 80 Prozent. Das macht auch Sinn, denn fast jeder Steckbrief birgt auch Zielkonflikte mit anderen Kriterien. Eine maximale Flächeneffizienz könnte beispielsweise zu Lasten der Grundrissflexibilität gehen, das heißt der Spielraum für die Änderung von Nutzungseinheiten wird eventuell kleiner.

Was muss man also tun, um eine möglichst hohe Prozentzahl zu erreichen, um möglichst nachhaltig zu bauen? 
Der Bauherr muss sehr früh festhalten, welcher Bedarf genau besteht und welche Ziele er in den unterschiedlichen Nachhaltigkeitskriterien erreichen möchte. Diese gilt es dann über den gesamten Bauprozess hinweg im Auge zu behalten. Alle Beteiligten müssen dafür an einem Strang ziehen und gut zusammenarbeiten. 
Auf WECOBIS haben wir dafür die passenden Anforderungen für Planung und Ausschreibung. Damit können Nachhaltigkeitskriterien von Beginn an in das Bauvorhaben einfließen.

Nachhaltig Bauen steht und fällt also mit nachhaltiger Planung.
Natürlich. Und je später Sie Entscheidungen treffen, desto weniger Einfluss haben Sie am Ende.

Wie unterscheidet sich WECOBIS von anderen Plattformen, die über Nachhaltigkeit informieren? Zum Beispiel nachhaltigesbauen.de?
nachhaltigesbauen.de ist eine zentrale Informationsplattform des BMI. Man findet dort alle möglichen Informationen zum nachhaltigen Bauen, aber auch Hilfsmittel und Tools für die Gebäudezertifizierung. WECOBIS ist eines dieser Tools mit dem Schwerpunkt Materialökologie. 

Sie bieten eine Funktion mit dem Titel „MyWECOBIS“ an. Mit welchem Nutzen?
Der Gedanke hinter „MyWECOBIS“ ist, dass man damit seine individuellen Informationen abspeichern kann, also bestimmte Produkte oder Baustoffe, die eventuell für das eigene Projekt interessant oder wichtig sein könnten. Es ist eine Art Merkzettel individueller Recherchen. 

Nun sind Sie nicht nur Chefredakteurin von WECOBIS, sondern auch als Beraterin in der Bayerischen Architektenkammer tätig. Inwiefern überschneiden sich diese beiden Aufgaben?
Beide Aufgaben ergänzen sich wunderbar! Über die Beratungsstelle Energieeffizienz und Nachhaltigkeit BEN beraten wir Bauherren, Nutzer, Kommunen und auch Architektinnen und Architekten kostenfrei und herstellerneutral zu allen Fragen des energieeffizienten und nachhaltigen Bauens. Mein persönlicher Beratungsschwerpunkt liegt dabei neben der Gebäudezertifizierung natürlich auf den Themen Materialökologie, Schadstoffe in Baumaterialien und Innenraumlufthygiene, wie sie auch in WECOBIS thematisiert werden. Als selbstständige Beraterin begleite ich aber auch konkret Projekte bei der Umsetzung materialökologischer Anforderungen und erstelle konzeptionelle Leitfäden. 

Ein Material, das wegen seiner Nachhaltigkeit immer stärker in den Fokus rückt, ist Holz. Ein berechtigter Trend aus Ihrer Sicht? 
Das kommt immer auf das Projekt an. Sicherlich sind nachwachsende Rohstoffe den nicht-erneuerbaren Rohstoffen vorzuziehen, sofern diese sinnvoll eingesetzt werden. Ein weiteres wichtiges Ziel sollte aber immer auch das Recycling und die Wiederverwendung sein – also möglichst wenig neue Rohstoffe zu verwenden.
Was den Holzbau betrifft, hat sich inzwischen auch die Hybridbauweise ökologisch bewährt, Tragwerk und Aussteifung sind dabei massiv konstruiert, die Fassadenelemente bestehen aus Holz. Bei Bauten aus und mit Holz sollte man allerdings immer auch an die Innenraumluftqualität denken. Abhängig von der Art der Hölzer und der Verklebung der Holzwerkstoffe kann man hier die Innenraumluft unterschiedlich beeinflussen.

Und worauf ist bei der Raumluft außerdem zu achten?

Neben Holzwerkstoffen sollte man auch bei Bodenbelägen, Klebstoffen und Dichtstoffen, Lacken und Farben, die großflächig aufgetragen werden, auf möglichst emissionsarme Produkte achten. Auf WECOBIS findet man dazu Informationen zu geeigneten Labels und Umweltzeichen, die bei der Produktauswahl helfen können. Wer sich hier unsicher ist, darf aber auch gerne zu uns in die Beratungsstelle kommen.

Zur Person

Dipl.- Ing. (FH) Architektin Petra Wurmer-Weiß ist Sachverständige für Nachhaltiges Bauen (SHB) und Freie Beraterin der Beratungsstelle Energieeffizienz und Nachhaltigkeit BEN der Bayerischen Architektenkammer mit Schwerpunkt Materialökologie und Gebäudezertifizierung. Sie ist freie Chefredakteurin des Ökologischen Baustoffinformationssystems WECOBIS und für die Bundesarchitektenkammer im DIN-Normenausschuss Bauwesen Nachhaltiges Bauen tätig.

 

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