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Frau in der Architektur: „Wir brauchen genauso viele unfähige Frauen wie unfähige Männer"

Die architektinnen initiative nw feiert nächstes Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. Sie zählt damit zu den ersten und ältesten Netzwerken für Architektinnen. Neben dem Netzwerkgedanken, der heute immer noch aktuell ist, vertritt die ai nw die Belange von Planerinnen in der Architektenkammer NRW und qualifiziert Fachfrauen in Fortbildungen. Katja Domschky ist ziemlich genau die Hälfte der Zeit dabei. Seit 15 Jahren ist sie Mitglied und seit sechs Jahren erste Vorsitzende. Sie sprach mit Vanessa Kanz über die Frauenquote, unfähige Frauen und Männer und darüber, wie wichtig es ist, mit der eigenen Arbeit nach draußen zu gehen.
Veröffentlicht am 24.02.2020

Frau Domschky, Sie haben sich vor vielen Jahren dazu entschieden, nicht mehr zu bauen, sondern sich auf Kommunikationsstrategien in der Architekturbranche zu fokussieren. Wie kam es, dass Sie ungefähr im gleichen Zeitraum der architektinnen initiative nw beigetreten sind?
Mich hatten damals Kolleginnen angesprochen, ob ich nicht Lust hätte, mich in der Berufspolitik zu engagieren –  da war gerade Wahlkampf für das Kammerparlament in NRW. Damals, ich war 35 Jahre alt, war mein Bild von Frauennetzwerken folgendes: lila Latzhose, schräger Haarschnitt – Emanzen eben. Und das war nicht ich. Ich habe dieses Thema also relativ spät für mich entdeckt. Das ist etwas, was man auch heute noch merkt: Es gibt in NRW 58 Prozent Architekturstudentinnen, in der Kammer sind lediglich 34 Prozent weibliche Mitglieder eingetragen. Im Studium fühlen sich Frauen gleichberechtigt – das war bei mir genauso. Die Erkenntnis, dass man als Frau nach wie vor auf der Strecke bleibt oder benachteiligt wird, kommt relativ spät: im Berufsleben, auf Baustellen, bei der Karriere und vor allem, wenn es um Familienplanung geht.

Und das wollten Sie nicht auf sich sitzen lassen?
Als Selbstständige fühle ich mich nicht unbedingt benachteiligt. Ich schätze vor allem die Kontakte, die ich über die ai nw knüpfen konnte. Aber ich bekomme einiges von Kolleginnen mit – Geschichten aus Architekturbüros, der Kammer, über den Umgang mit Frauen auf Baustellen etc. Deshalb entschied ich mich für die Berufspolitik und bin seit 2005 im Kammerparlament und seit 2010 auch im Vorstand. Da haben wir als ai nw das erste Mal genug Stimmen erhalten, um einen Vorstandssitz zu bekommen. Das war ein riesiger Erfolg, weil man dadurch einerseits mehr mitbekommt und andererseits mehr Gewichtung von uns aus möglich ist. Wir haben mehr Möglichkeiten, etwas zu bewegen. Zumindest in der Theorie. In der Praxis ist es eher: dicke Bretter bohren.

Was haben Sie zum Beispiel versucht zu initiieren, was sich in der Praxis noch immer als schwierig erweist?
Als die architektinnen initiative aus dem Stand acht Sitze erhielt, war es sehr bezeichnend, dass die großen Verbände in NRW bei der darauffolgenden Wahl auf einmal Frauen auf ihren Titelbildern hatten. Sie haben das Potenzial erkannt. Aber die wenigstens von ihnen haben es in den Vorstand oder in Führungspositionen geschafft. Es war und ist ein gutes Marketingmittel, aber es fehlt der wirkliche Wille zur Veränderung. Ein weiteres „dickes Brett“: 2012 haben wir einen Antrag für eine Broschüre zu Arbeitszeitmodellen gestellt. In unserer Branche herrscht ja eine Long-Hour-Culture – man ist nur cool, wenn man lange arbeitet und am Wochenende die Wettbewerbe schrubbt. Das betrifft vor allem Frauen, weil sie nach wie vor mehr Familienarbeit leisten. Diese Broschüre sollte den Mitgliedern der Kammer aufzeigen, dass es viele Möglichkeiten der Arbeitszeitaufteilung gibt. Wir waren es, die nun das brandaktuelle Thema erneut auf die Tagesordnung gebracht haben und eine Überarbeitung der Broschüre angestoßen haben. Es gibt also noch immer viel zu tun. Ich sage das mit Verweis auf die Kammerwahlen in NRW, die Ende des Jahres stattfinden. 

Wie sieht es in puncto Frauenquote aus – ist das ein Thema für die ai nw?
Das Wort „Quote“ nehmen wir nicht in den Mund. Wir sprechen von der paritätischen Besetzung und die haben wir in der Vertreterversammlung bei Veranstaltungen, auf Podien etc. gefordert. Seitdem bekommen wir einmal im Jahr einen Rechenschaftsbericht, wie viele Referentinnen angefragt wurden und wie die Umsetzung verlief. In den ersten Jahren habe ich immer gesagt bekommen: „Katja, du weißt gar nicht, wie schwer das ist. Die Frauen haben entweder keine Zeit oder sind zu teuer.“

Da verlangen Sie ja anscheinend Unglaubliches. Und warum benutzen Sie das Q-Wort nicht?
Die Quote ist ein rotes Tuch. Nimmt man das Wort Quote in den Mund, dann gehen bei vielen immer schon die Mundwinkel runter. Es hat also etwas mit politischem Vorgehen zu tun: Klar würden wir lieber eine Quote fordern – wobei das auch bei uns intern, in der ai nw, heiß diskutiert wird –, aber um unsere Ziele zu erreichen, versuchen wir, es anders zu formulieren. Deshalb die paritätische Besetzung.

Wie stehen Sie persönlich zur Quote?
Ich bin für das Modell der befristeten Quote, um den Wind aus den – überwiegend männlichen – Segeln zu nehmen. Es geht einfach darum, überhaupt erst einmal Gleichberechtigung zu schaffen. Mein Traum ist es, die Quote danach wieder abzuschaffen, weil sie obsolet wird und wir bei 50/50 angekommen sind. Übrigens ein weiterer Traum von mir ist es, eine tolle Abschiedsfeier für die ai nw zu machen, weil es uns nicht mehr braucht. Oder wir uns eben umbenennen in die architekt*innen initiative. Dann können wir uns anderen Themen widmen, weil Gleichberechtigung herrscht. Aber ich fürchte, das werde ich nicht mehr erleben. Ich denke also: Wir brauchen die Quote, weil es anders nicht geht. Erst dann kommt es langsam in den Köpfen an.

Sie meinen also, bei vielen ist das Thema Gleichberechtigung noch immer nicht in den Köpfen angekommen?
Ich kann Ihnen eine Situation schildern, die die Frage beantwortet. Als wir damals den Antrag zur paritätischen Besetzung bei Veranstaltungen gestellt hatten, kam ein Kollege zu mir und sagte: „Waren sie nicht auch beim Inselkongress? Dann haben Sie sicherlich den Vortrag von der Frau xy gehört. Der war doch schlecht, oder?“ – Das war seine Reaktion auf unseren Antrag.

Was haben Sie erwidert?
„Ach, Sie waren auch da? Dann haben Sie sicher den Vortrag von Herrn xy gehört – der war richtig geil, oder?“ – Er verneinte und hatte damit auch Recht. Doch nur der Vortrag der Frau wurde von ihm thematisiert. In dem Zusammenhang bleibt mir nichts anderes, als zu sagen: Gleichberechtigung haben wir erst geschaffen, wenn genauso viele unfähige Frauen in Führungspositionen sitzen wie unfähige Männer.

Merken Sie eine Verbesserung des Klimas, was das Thema Gleichberechtigung betrifft, seitdem Sie 15 Sitze in der Vertreterversammlung der Kammer haben?
Das Klima ist jetzt gerade gut, weil das Thema überhaupt so viel in der Presse ist. Es ist aber nicht unbedingt nachhaltig – so mein subjektiver Eindruck –, weil das freiwillig und so gewollt ist, sondern eher gemusst. Soll heißen: Es ist und bleibt mühsam. Es werden gerne Regeln vorgeschoben, um etwas nicht thematisch zu behandeln. Die Kollegen der Kammer ruhen sich gerne auf der Aussage aus „Was sollen wir als Kammer denn machen? Das ist ein gesellschaftliches Problem“. Ja, natürlich ist es das. Auch Medizinerinnen, Polizistinnen, Juristinnen stoßen an ihre Grenzen, merken, dass sie als Frauen anders behandelt werden. Nichtsdestotrotz muss man in der Baubranche doch auch ansetzen.

Was entgegnen Sie Kritikern, die sagen, dass solche Netzwerke für Frauen selbst wieder exkludierend sind?
Das werfen uns tatsächlich häufig andere Verbände in NRW vor. Aber wir sind der einzige Verband, der alle Fachrichtungen vereint – Hochbau, Innenarchitektur, Landschaftsarchitektur, Stadtplanung und Ingenieurswesen – sowie Angestellte und Selbstständige. Wir erachten Netzwerken und Kooperationen als essenziell in der Branche, während andere Verbände nur Angestellte, nur Selbstständige, nur Innenarchitekten usw. vertreten. Doch uns wirft man Ausgrenzung vor, weil wir nur Kolleginnen vertreten. Wie gesagt, ich würde mich freuen, wenn es irgendwann nicht mehr nötig ist, dass Frauen untereinander netzwerken, sich fördern, Veranstaltungen nur für Frauen organisieren, weil dort eine andere Atmosphäre herrscht… 

Geht das allen Mitgliedern bei der ai nw so?
Es macht sich durchaus ein Generationenwandel bemerkbar: Während viele der älteren Mitglieder auf rein weibliche Veranstaltungen pochen, würden viele jüngere gerne auch die männlichen Kollegen zu einem Event einladen. Da sind die Jüngeren quasi toleranter – vielleicht auch, weil junge Männer anders ticken. Auch innerhalb der ai nw gibt es also eine Entwicklung und unterschiedliche Meinungen. Da muss man sich anpassen. Wir machen es so, dass unser Standardprogramm nach wie vor nur für Kolleginnen ist. Bei den Extraveranstaltungen dürfen die Organisatorinnen selbst entscheiden, ob sie ein gemischtes Publikum bevorzugen oder ein rein weibliches.

Wie baut sich das Netzwerk generell auf?
Zwei Mal im Jahr halten wir ganz klassisch ein Plenum für die Mitglieder ab. Da Nordrhein-Westfalen sehr groß ist, versuchen wir immer den Ort zu wechseln. Deshalb haben wir auch vor vielen Jahren die ai Regionalgruppen an diversen Standorten gegründet. Über die E-Mail-Adressen können wir natürlich regionübergreifend Anfragen für Kooperationen in die Runde verschicken. Außerdem besteht die Möglichkeit, jederzeit einen Arbeitskreis zu gründen. Aktuell haben wir drei Arbeitskreise: Berufspolitik, Landschaftsarchitektinnen und Bauleiterinnen. Über interne und externe Kommunikationskanäle halten wir unsere Mitglieder und Interessierte auf dem Laufenden.
 
Seit Ende Oktober 2019 ist die architektinnen initiative nw Partnerin im nationalen Pakt für Frauen in MINT-Berufen. Wie kann man junge Frauen denn für technisch-naturwissenschaftliche Fächer und Berufe begeistern?
Durch Vorbilder und frühes Heranführen. Ich bin immer wieder erschrocken, wie die Rollenbilder und Stereotype von Anfang an gelebt werden. Das ist auch sehr unbewusst. Deshalb ist es wichtig, bereits in der Schulzeit zu zeigen: Es gibt nicht nur Hellblau und Bohrmaschine für die einen und Hellrosa und Bügeleisen für die Anderen. Auch das Gegenteilige kann Spaß machen. Kinder  müssen frühzeitig zum Ausprobieren animiert werden. Bei der Kooperation geht es uns konkret darum, junge Absolventinnen zu unterstützen, ihren eingeschlagenen Berufsweg konsequent weiterzugehen.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, einen Aspekt zugunsten benachteiligter Frauen in der Baubranche zu verändern – was wäre Ihnen am dringlichsten?
Da fallen mir zwei entscheidende Punkte ein. Erstens muss die Benachteiligung mit Hilfe von flexiblen Arbeitszeiten wegfallen. Ich wünsche mir, dass die Branche dahingehend toleranter wird. Das heißt auch, dass Männer das ebenfalls aktiver einfordern müssen. Zum anderen gibt es, wie in anderen Branchen auch, einen Gender Pay Gap. Laut der Gehaltsumfrage der Bundesarchitektenkammer von 2017 verdienen Planerinnen in gleicher Funktion und Anstellung durchschnittlich bis zu 7.400 Euro pro Jahr weniger als ihre Kollegen. 

Was müssen, aus Ihrer Marketing-Sicht, Frauen tun und was brauchen sie, um sichtbarer zu sein?
Mehr Mut und mehr Klappern. Frauen müssen mehr über sich reden, über ihre Projekte und die eigene Arbeit. Da sind sie noch immer zurückhaltender als Männer. Es gibt mehr Kolleginnen, die keinen Internetauftritt haben, die keine Facebook-Seite haben, die gar nicht darüber nachdenken, dass man auch mal eine Pressemitteilung verschicken oder sich in Diskussionen beteiligen kann. Von all den tollen Projekten müssen doch die anderen erfahren – und das funktioniert eben nur durch aktive Kommunikation. Deshalb ist ein zentrales Anliegen der ai nw, die Leistung von Planerinnen sichtbar zu machen: Unsere Mitglieder können sich auf unserer Website präsentieren. Und jährlich laden wir eine bekannte Architektin für einen Werkbericht ein.

Warum sind Frauen so gehemmt, offensiv über sich und ihre Arbeit zu sprechen?
Das ist auch ein branchenspezifisches Problem, weil es lange Zeit das Werbeverbot gab. Berufsrechtlich dürfen die freien Berufe nicht so werben wie andere Branchen. Darauf haben sich die älteren Generationen ausgeruht. Aber seit der Liberalisierung der Werbegrundsätze hat sich das grundlegend geändert. Mittlerweile darf man fast alles. Diese Ausrede gilt also nicht mehr. Erstaunlicherweise ist dieses alte Denken aber auch bei vielen Jüngeren verhaftet und dazu kommt noch die weibliche, eher bescheidene, Herangehensweise. Aber solange die Branche wie ein „Closed Shop“ von Männern auftritt und beim Name-Dropping, in den Feuilletons und bei den großen Architekturpreisen nur Namen von Männern fallen, ist es einfach schwer, als Frau da reinzukommen.

Wie fällt die Reaktion von Frauen denn aus, mit denen Sie sprechen und zu verstärkter Internetpräsenz animieren?
Das Hauptargument ist leider bedingt durch ein noch immer weibliches Problem: Viele, die sich selbstständig machen, tun dies in einer Zeit, in der Familienplanung angesagt ist. Die Frauen arbeiten Teilzeit und müssen trotzdem alle Kosten hundertprozentig tragen. Und so scheuen sie sich, weil der finanzielle Hintergrund ein anderer ist. Briefpapier, Visitenkarten, Internetauftritt gestalten – das alles kostet. Die Investition bei der Gründung ist natürlich schwieriger, wenn ich nur in Teilzeit gründe. Die ai nw hilft hier zum Beispiel mit einem ausführlichen Profil auf der Website, das jedes Mitglied für sich anlegen kann.

Wobei die Schwierigkeit und Sorgen der Frauen natürlich nachvollziehbar sind.
Es hilft nichts. Selbstständig ist selbstständig. Sie müssen ja nicht gleich den 10.000-Euro-Internetauftritt kaufen. Häufig rate ich den Frauen dazu, sich mit ihren Partnern zu besprechen. Wenn sie in Teilzeit arbeiten, steht ihnen theoretisch auch die Hälfte des Gehalts vom Partner zu. Sie müssen alles in einen Topf schmeißen und vom gemeinsam vorhandenen Geld investieren. Das ist natürlich ein schwieriges Thema…

… und erfordert Selbstbewusstsein.
Das stimmt. Ich merke aber und freue mich, dass Frauen durchaus selbstbewusster werden und generell auch zum Thema Gleichberechtigung aktiver etwas sagen. Das ist ein wichtiger Schritt.

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