Berichte eines Home-Officers – Tag 17

Nach vier Wochen im Homeoffice schleicht sich unser Home-Officer in sein Büro. Der ganz persönliche Neil-Armstrong-Effekt blieb aus. Dafür traf er auch alte Milchpackungen, unsortierte Papierstapel und Ernüchterung. Der Architekt Roman Leonhartsberger schreibt in seiner täglichen Kolumne auf New Monday über die besonderen Herausforderungen in Home-Office-Zeiten. Denn auch er sitzt, wie Tausende von ArchitektInnen, LandschaftsarchitektInnen, StadtplanerInnen an seinem Ess- äh Schreibtisch.
Veröffentlicht am 15.04.2020

Tag 17 – Der direkte Seeweg, hin und zurück

Heute habe ich mich mal ins Büro geschlichen – ich hatte Notizen liegenlassen, außerdem musste ich dringend großformatige Ausdrucke machen. Ach, es wären mir auch sonst noch ein Haufen schöner Ausreden eingefallen. Wichtig war vor allem ein Aspekt: sich selbst zu beweisen, dass es möglich ist, sich ins Büro zu schleichen. Natürlich habe ich vorher sichergestellt, dass ich allein sein werde und niemand dort durch eine unangekündigte Kontaktaufnahme mit mir überrascht, irritiert, ja gefährdet wird. Ich habe mich durch die unwirklich stille Stadt geschlichen, den Schlüssel verstohlen im Schloss gedreht, den Haufen Kontoauszüge und Postwurfsendungen aus dem Briefkasten befreit, die Milch im Kühlschrank weggeworfen. Als ich mich durch die Post gearbeitet hatte und auch sonst alles erledigt hatte, was zu tun war, überkam mich eine gewisse Ernüchterung. Anstelle des Akts der Wiederinbesitznahme, meines erhofften, ganz persönlichen Neil-Armstrong-Moments war die Erkenntnis getreten, dass auf meinem Arbeitstisch nach über vier Wochen Abwesenheit immer noch dieselben unsortierten Papiere lagen. Keine Ureinwohner hatten mich mit einem Fresskorb begrüßt, als ich unrasiert und mit der Standarte der Königin im Arm der Pinasse entstieg.

In den Neunzigern gab es diesen Comicwikinger. Immer wenn er von seinen monatelangen Beutezügen an fremde Gestade heimkehrte, herrschte ihn seine Frau an, dass er beim Weggehen vergessen habe, den Müll mitzunehmen. So wie dieser Wikinger fühlte ich mich. Der Kaffeesatz unten in der Maschine war auch verschimmelt. Ich ging kurz in mich – und sah nur eine Chance, die Enttäuschung in Grenzen zu halten. Nach einem guten Stündchen Arbeit (immerhin!) trat ich den Heimweg an. Bewaffnet war ich mit den wildesten Räuberpistolen, welche Abenteuer, Schrecken, Fährnisse und Verheißungen den Wiedergekehrten an seiner Wirkungsstätte erwartet hatten, war ja schließlich sonst keiner dabei.

Über den Autor

Roman Leonhartsberger ist Architekt, Stadtplaner, Lehrbeauftragter für Städtebau an der Hochschule München und seit neustem Home-Officer.

Illustration: Juri Agostinelli

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