Berichte eines Home-Officers – Tag 10

Unserem Home-Officer bleibt zumindest die Nähe zum Kühlschrank. Sehr zu seinem Leidwesen, ist aber auch er mittlerweile auf Amazon Prime angewiesen. Der Architekt Roman Leonhartsberger schreibt in seiner täglichen Kolumne auf New Monday über die besonderen Herausforderungen in Home-Office-Zeiten. Denn auch er sitzt, wie Tausende von ArchitektInnen, LandschaftsarchitektInnen, StadtplanerInnen an seinem Ess- äh Schreibtisch.
Veröffentlicht am 02.04.2020

Tag 10 – Home Office als Versorgungskrise

Die Nähe zum Kühlschrank: Den Besatzungen der russischen und amerikanischen Raumstationen war bei aller weltanschaulicher Unterschiede sicher ein ungebremster Enthusiasmus gemein, und die Nähe zum Kühlschrank. Mir selbst, dessen Tagesablauf weniger durch wissenschaftliche Experimente geprägt ist (auch Außenbordeinsätze sind rar geworden) bleibt die Nähe zum Kühlschrank. Als eingefleischtem kulturellen Nordwesteuropäer bietet mir der Kühlschrank schnell verfügbare, kulinarische Höhepunkte: Käsebrot, Gürkchen, Cola. Diese ständige Verfügbarkeit will ebenso kontrolliert sein, wie die Vervollständigung der Vorräte.

Man denkt auch anders über die Einkäufe nach als zuvor: Mittagessen wird schließlich zuhause eingenommen, man versucht für einen längeren Zeitraum einzukaufen, um möglichst selten in den Supermarkt zu müssen. Milch vergessen möchte man vermeiden - Bevorratung wird bewusster und überlegter. Bestimmte Dinge, die bislang ihr Dasein im ausgesprochenen Schatten des heroischen Alltags eines Architekten und Stadtplaners fristeten (und ich meine nicht das Klopapier) werden lebenswichtig, können aber nicht schnell um die Ecke besorgt werden. Beispiele? Netzwerkkabel. Druckerpapier. Unterhosen. Ich höre schon das Gähnen derjenigen, die solche Dinge schon seit Jahrzehnten online ordern. Ich war aber immer ganz glücklich diese einfach noch im sogenannten dezentralisierten Einzelhandel zu erwerben. Jetzt fehlt mir die Übung und ich muss mich in meiner bemitleidenswerten Situation auch noch um höhnische Amazon-Prime-Aboangebote herumklicken. Kurz: First world problems. Vielleicht ist das ja die Lösung all unserer Probleme: Die regelmäßige, automatisierte und optimierte Rundumversorgung, nicht nur mit Bankdienstleistungen. Hört auf, Euch zu wehren und lasst Euch einfach sanft in die Arme der Digitalkonzerne sinken. Wiederum muss ich an die trotz Enge und Gefahr stets positiven, hoch motivierten und durchtrainierten Raumfahrer denken: Es gibt jetzt auch diese Vitaminshake-Abos.

Über den Autor:

Roman Leonhartsberger ist Architekt, Stadtplaner, Lehrbeauftragter für Städtebau an der Hochschule München und seit neustem Home-Officer.

Illustration: Juri Agostinelli

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