Berichte eines Home-Officers – Tag 9

In Zeiten von Home-Office sind die "deutschen Tugenden" außer Kraft gesetzt. Unser Kolumnist denkt über seine eigenen veränderten Verhaltensregeln nach. Der Architekt Roman Leonhartsberger schreibt in seiner täglichen Kolumne auf New Monday über die besonderen Herausforderungen in Home-Office-Zeiten. Denn auch er sitzt, wie Tausende von ArchitektInnen, LandschaftsarchitektInnen, StadtplanerInnen an seinem Ess- äh Schreibtisch.
Veröffentlicht am 01.04.2020

Tag 9 – Ruhe ist die erste Bürgerpflicht 

Disziplin, Ordnung, Pünktlichkeit (Liste nicht vollständig) – die sogenannten „deutschen Tugenden“, die eigentlich eher Selbstkontroll-Disziplinen aus der eisernen Kaiserzeit sind, sind alle außer Kraft gesetzt. Disziplin: Zuhause mehr oder weniger egal. Wer, wie ich jahrzehntelang Katzenhalter war, weiß, dass diese Eigenschaft ohnehin viel mit Selbstbetrug und der Aufrechterhaltung von Anschein zu tun hat. Oder zumindest mit der Projektion eigener Vorstellungen auf jemandem, dem das völlig egal ist, wie zum Beispiel auf den Paketboten.

Ordnung: Völlig egal, es betrifft einen ja nur noch selbst und weil mein Schreibtisch immer schon relativ ordentlich war (wenn auch chaotisch), sehe ich mich da entbunden. Pünktlichkeit: interessantes Thema. Pünktlichkeit ist ein flexibler und höchst kulturell geprägter Wert. Außerdem ist auch noch wichtig, wer sich mit wem trifft: Der Chef darf sich mehr verspäten als der Praktikant. Was bedeutet es nun, wenn sich niemand mehr trifft? Steigert sich gegenläufig die Notwendigkeit vereinbarte Deadlines und Videocall-Zeiten einzuhalten? Oder gerät alles ins Rutschen? Generell versuche ich pünktlich zu sein (nicht zu sehr, um nicht überheblich zu erscheinen) und in Home-Office Zeiten erzeugt dies regelmäßig minutenlange Diskrepanzen.0Aauch technisch bedingt, denn einer wartet bis der oder die anderen sich in die Videokonferenz einklinken. Und da ich es hasse, von Anrufen aus der Arbeit gerissen zu werden, warte ich immer ein paar Minuten vor dem vereinbarten Termin. Die Stille im Arbeitszimmer, man kann den Eichhörnchen zusehen. Manche Schweizer Kollegen haben eine Tendenz 1-3 Minuten vor der vereinbarten Zeit anzuläuten. Andere lassen gern ein bisschen Luft. Ich habe dazu immer eine Tasse Tee da, friedliche Minuten, eine wirkliche Pause. Gar nicht so schlecht. Noch mal kurz checken: Habe ich mich heute Morgen angezogen?

Über den Autor:

Roman Leonhartsberger ist Architekt, Stadtplaner, Lehrbeauftragter für Städtebau an der Hochschule München und seit neustem Home-Officer.

Illustration: Juri Agostinelli

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