Berichte eines Home-Officers – Tag 7

Der Blick aus dem Fenster zeigt unserem Home-Officer, dass das Schönste immer noch ist, dass man nicht so viel über die Nachbarn weiß. Während den Ausgangsbeschränkungen, sitzen nun Tausende von ArchitektInnen, LandschaftsarchitektInnen, StadtplanerInnen an ihren Ess- äh Schreibtischen. Und alle anderen eben auch. Damit wir uns alle nicht so alleine fühlen oder dabei verrückt werden, schreibt unser neuer Kolumnist Roman Leonhartsberger aus dem heimischen Büroexil über seine Erfahrungen.
Veröffentlicht am 27.03.2020

Tag 7 – Das Fenster zum Hof

Still liegt sie da – als ob sie schliefe. Die Mittagspause vom Homeoffice wird zur „Bewegung an der frischen Luft“ (Seuchenschutzdeutsch der Kanzlerin) genutzt. Die Straßenbahnschienen schimmern im Vorfrühlingslicht, die Luft ist kalt und klar, einsame Busse ziehen vorbei, gefolgt von Lautsprecherwagen der Polizei. Die ganze Stadt gähnend leer, parkende Autos in Reih und Glied, schön wieder einsortiert, wie hochgestellte Stühle im Restaurant. Wirkt recht arrangiert, man fragt sich, wozu das alles so schön zurechtgemacht ist, die stolzen Fassaden der Gründerzeitbauten, wenn sie doch niemand sieht. Am liebsten würde man anfangen ein bisschen umzustellen, wo grade keiner guckt, aber das ist eine Täuschung. Nach Sonnenuntergang blicken die Mietshäuser dem Spaziergänger mit tausend Augen nach, hell erleuchtet wie am Weihnachtsabend.

Morgens der Blick aus dem Fenster: Die Nachbarn haben mittlerweile höchst individuelle Methoden entwickelt, mit der Situation umzugehen. Das kettenrauchende Pärchen gegenüber, das sich gern nachts auf dem Balkon ankeift, hat seine Präsenz verstärkt, die WG schräg links oben hats neulich Abend nach der zweiten Flasche Wein mal mit einem italienisch inspirierten Balkonkonzert versucht (ging nicht sehr lang), die Fenster werden geputzt, Pflanzen umgetopft, Kinder angebrüllt. Und unten im Hof? Die Paketzusteller, über den Hof hastend, sind manchmal über Stunden das Einzige, was sich noch bewegt, der Rest der Nachbarschaft verlässt die Gebäude nur noch zur Entsorgung. Aha, das gehört aber eher in die andere Tonne, kein Wunder, dass der Hof so aussieht. Gott, das schönste am Leben in der Stadt ist immer noch, dass man eben nicht zu viel über den Nachbarn weiß. Ein besonders Engagierter hat im Durchgang unten eine Leihbibliothek angelegt. Vielleicht stell ich auch noch meine Faschingskiste daneben. Die Skistiefel passen eigentlich auch nicht mehr.

Über den Autor:

Roman Leonhartsberger ist Architekt, Stadtplaner, Lehrbeauftragter für Städtebau an der Hochschule München und seit neustem Home-Officer.

Illustration: Juri Agostinelli

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